Klimaneutralität bis 2030? bis 2050? Wie erreichen wir das 1,5-Grad-Ziel?

Einleitung

Auch in Mittelbaden kommt man von der viel zu langen Problemanalyse und Ankündigungspolitik bezüglich der Klimakrise nun hin zu konkreten kommunalen Klimaschutzkonzepten. Doch bislang erreicht keines der unten untersuchten kommunalen Klimaschutzkonzepte das wissenschaftlich unumstrittene 1,5-Grad-Ziel von Paris mit der dafür erforderlichen Klimaneutralität bis ins Jahr 2030.

Dieser Artikel fasst die Grundlagen und Konzepte zur Erreichung des 1,5-Grad Ziels von Paris zusammen.

Hintergrund

Mit der Ratifizierung des Klimaabkommens von Paris im Jahr 2015 hat sich die Bundesrepublik Deutschland völker­rechtlich bindend zu den darin festgelegten Klimazielen bekannt. Das Ziel von Paris ist es, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Diese 1,5-Grad-Grenze wird vom aktuellen «Umweltgutachten 2020» des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung ebenso bekräftigt wie von den Forderungen der FridaysForFuture-Bewegung und basiert auf einer gut fundierten wissenschaftlichen Datenbasis.

Was ist «Paris-kompatibel»?

Eine Grafik aus dem aktuellen «Umweltgutachten 2020» des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung illustriert dies anschaulich:

Quelle: «Umweltgutachten 2020» des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung, S. 42 f.

Aus der Grafik wird ersichtlich, wie essentiell für alle Klimaschutzkonzepte ein Emissions-Reduktionspfad zur Überprüfung der Effektivität ist. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit zur jährlichen Erhebung und Veröffentlichung der THG-Reduktionsdaten um bei Nichterreichen rasch geeignete Maßnahmen koordinieren zu können.

Wie wahrscheinlich erreichen wir welches Ziel?

Die folgende Grafik verdeutlicht die simple Wahrscheinlichkeitsrechnung hinter der 1,5-Grad-Grenze: Je länger wir brauchen, um klimaneutral zu werden, desto unwahrscheinlicher erreichen wir noch das 1,5 Grad-Ziel.

Wenn wir es bis 2030 schaffen, klimaneutral zu werden, haben wir laut IPCC (Weltklimarat) noch eine mathematische 2/3 Chance – nicht gerade üppig.

Daraus ergibt sich aber auch, dass jeder, der Klimaneutralität bis im Jahr 2040 gar 2050 noch für ausreichend hält – mit Wahrscheinlichkeiten operiert, die politisch verantwortungslos sind. Es sei denn, man könnte einen Reduktionspfad mit massiver Absenkung gleich zu Beginn vorweisen (Pfad 3 in der Grafik des Umweltgutachtens 2020), was alleine aufgrund der maximal erreichbaren Gebäudesanierungsraten illusorisch erscheint.

Quelle: Klimareporter: https://www.klimareporter.de/erdsystem/klimaneutralitaet-kommt-2050-zwei-jahrzehnte-zu-spaet

Ist der Unterschied zwischen 1,5 und 2 Grad Temperaturanstieg denn so groß?

Der IPCC-Sonderbericht zeigt drastisch auf, dass es nicht um lineare Verschlechterungen geht, sondern dass zentrale Kipp-Elemente wie auftauende Permafrostböden bei einem Ansteigen über 1,5 Grad Celsius massive und unkontrollierbare zusätzliche THG-Emissionen auslösen. Ein weiteres Beispiel: Bei maximal 1,5 Grad Erwärmung gegenüber vorindustrieller Zeit verliert die Welt 70 Prozent aller Korallenriffe – die Kinderstube vieler Fischarten – und bei zwei Grad mehr als 99 Prozent.

Die aktuelle Situation in Mittelbaden

So unbestritten der wissenschaftliche Konsens zum 1,5-Grad-Ziel ist – es ist leider noch nicht in den Klimaschutzkonzepten der Region angekommen. An vier Beispielen aus Mittelbaden kann man dieses gravierende Defizit exemplarisch darstellen:

  • Das RegioENERGIE Klimaschutzkonzept (welches auch für Kuppenheim gilt) würde nur beim aufwendigen «Klima-Szenario» eine Treibhausgas (THG)-Reduktion von 52% bis 2030 schaffen. Mit den bisher durchgeführten priorisierten Maßnahmen dürfte nach unserer Einschätzung aber selbst das «Ziel-Szenario» mit 33% Reduktion für Kuppenheim (und wohl auch für die anderen Netzwerk-kommunen) nur schwer erreichbar sein.

  • Das Bühler Klimaschutzkonzept schafft im besten Fall 34% Treibhausgas (THG)-Reduktion bis 2030 – allerdings nur unter Annahme des ambitionierten «Klima-Szenarios». Das «Trendszenario 2030» geht von nur 15% THG-Reduktion aus (gegenüber 2013).

  • Das Karlsruher Klimaschutzkonzept liegt im «Trendszenario» bis 2030 bei einer Reduktion von minimal 5%. Maximal erreichbar wären 55% (im «Karlsruhe Klimaaktiv»-Szenario) bis 2030 (gegenüber 2015).

  • Rastatts neues Klimaschutzkonzept befindet sich aktuell noch vor der Abstimmung des Gemeinderats Ende September. Das bisherige Reduktionsziel auf der Webseite der Stadt: «CO2-Ausstoß bis 2050 um 90 Prozent senken» ist aber auch nicht Paris-kompatibel.

Die aktuelle Situation auf Landesebene (BW)

Auf der Ebene des Landes Baden-Württemberg wird derzeit eine Novelle des Landesklimaschutzgesetzes geplant. Aus der BUND-Grafik wird ersichtlich, dass das Ziel der Landesregierung ebenfalls nicht mit dem Pariser-Klimaziel kompatibel ist und einen Temperaturanstiegspfad von mehr als 1,75 Grad Celsius zu Folge hätte.

Quelle BUND: https://www.bund-bawue.de/themen/mensch-umwelt/klima-und-energie/

Die aktuelle Situation auf Bundesebene

Auf Bundesebene wurde eine Minderung von CO2-Emissionen gegenüber 1990 von durchschnittlich 57% bis 2030 im Klimaschutzgesetz festgelegt, 2050 sollen es 80%-95% sein. Das 1,5-Grad-Ziel kann so aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erreicht werden.

Quelle: https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgasminderungsziele-deutschlands

Die aktuelle Situation auf EU-Ebene

Auch auf EU-Ebene sind die formulierten Klimaschutz-Ziele nicht 1,5-Grad-kompatibel. Laut Umweltbundesamt will die EU «die Treibhausgas-Emissionen bis 2050 um 80 % bis 95 % zu reduzieren». Als Zwischenziel 2030 gilt laut Umweltbundesamt: «Die EU-internen Treibhausgas-Emissionen werden bis 2030 um mindestens 40 % im Vergleich zu 1990 gemindert.»

Quelle: UBA\EEA: https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/europaeische-energie-klimaziele

Fazit

Betrachtet man die oben geschilderten Reduktionspfade auf kommunaler, Landes- und EU-Ebene unter dem Aspekt der Paris-Kompatibilität wird klar: Keines der obigen Konzepte kann zumindest mit seiner aktuellen Konfiguration das 1,5-Grad-Ziel auch nur annähernd erreichen.

Kein Politiker würde der Öffentlichkeit heute ernsthaft ein Klimaschutzkonzept «2050 klimaneutral» mit den Worten vorstellen: «Mein Konzept muss rein mathematisch betrachtet mit 66-prozentiger Wahrscheinlichkeit scheitern. Und seit Jahren sind sich mehr als 95% aller Klima-Wissenschaftler der Welt einig, dass das Konzept auch nicht ausreichend für das allgemein anerkannte 1,5-Grad-Ziel von Paris ist.»

Dennoch sind viele Klimaschutzkonzepte noch genau so konzipiert.

Doch es gibt auch Lichtblicke, wie die Klimaschutz-Konzepte von germanzero.de die 1,5-Grad-kompatibel sind. Ein konkretes Beispiel für ein solches Klimaschutzkonzept gibt es von Essen hier.

Es ist höchste Zeit, Klimaschutzkonzepte auch in Mittelbaden 1,5-Grad tauglich zu machen!